Beim Lesen dieses Romans versuche ich mich daran zu erinnern, was ich über Lenin und die bolschewistische Sowjetunion noch weiß. Denn: In ‚Das Philosophenschiff‘ verschmelzen historische Ereignisse und die Fantasie des Autors. Die Passagierschiffe, auf denen Intellektuelle in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus Russland deportiert wurden, gab es wirklich. Anouk Perlemann-Jakob ist dagegen Fiktion. Sie ist eine der Passagierinnen, die als jungen Mädchen zusammen mit ihren Eltern auf Lenins Befehl ins Exil deportiert wird. Während die meisten anderen Passagiere nach ereignislosen Tagen auf See in Lethargie verfallen, erkundet sie nachts Decks, deren Zutritt verboten ist. Dort trifft sie auf Lenin selbst. Dieser sitzt – nach seinem Schlaganfall – hilflos im Rollstuhl. Nacht für Nacht treffen sich die beiden beiden.
Als 100jährige Frau erzählt Anouk Perlemann-Jakob, die es als Architektin zu Ruhm und Bekanntheit gebracht hat, einem österreichischen Schriftsteller ihre Geschichte. Als sie mit ihren Erzählungen zu Ende ist, gibt sie ihm vor seiner Rückfahrt nach Vorarlberg diese Ermahnung mit auf den Weg: „Aber vergessen Sie nicht, wer Sie sind: Sie sind der, dem man glaubt, wenn er lügt, und nicht glaubt, wenn er die Wahrheit sagt.“

