Schlagwort: Roman

  • Der große Riss von Christina Henríquez

    Im Jahr 1907 sucht die Isthmische Kanalkommission „4000 tüchtige Arbeitskräfte für Panama“. Für diese „Arbeit im Paradies“ wird mit einem 2-Jahres-Vertrag, kostenloser Unterkunft und medizinischer Versorgung und 10 bis 20 Cent Lohn pro Stunde geworben. Der Aufruf zeigt Wirkung: Nicht nur aus der gesamten Karibik strömen Männer – und auch Frauen – nach Panama, um beim Bau des Kanals, der den Atlantik mit dem Pazifik verbinden soll, mitzuwirken.

    Christina Henríquez Erzählstil ist plastisch und so lebendig, dass ich das Buch nicht mehr aus den Händen legen mochte. Die Autorin erzählt von Francisco Aquino, einem panamaischen Fischer und seinem Sohn Omar, von Ada Bunting, einem sechzehnjährigen Mädchen aus Barbados, von Marian und John Oswald aus Tennessee und weiteren Männern und Frauen, die in Panama leben oder dem Ruf dorthin gefolgt sind und sich weder von Gelbfieber- oder Malaria-Ausbrüchen, den harten Lebensumständen in dem gerade von Kolumbien unabhängig gewordenem Land und der Knochenarbeit beim Bau des berühmten Kanals abschrecken lassen.

  • Die Postkarte von Anne Berest

    Es ist schon einige Jahre her, dass ich ‚Suite française‘ von Irène Némirovsky gelesen habe. Nachdem ich nun ‚Die Postkarte‘ von Anne bereits nahezu in einer Woche verschlungen habe, werde ich es nochmal zur Hand nehmen.

    Anne Berests Schreibstil hat mich ebenso gefesselt, wie die Struktur, mit der sie in diesem 525 Seiten starken Roman von dem Leben ihrer Urgroßeltern, Großeltern und Eltern erzählt. Auslöser für die vielen Nachforschungen und Recherchen ist eine Postkarte, die ihre Mutter Lélia im Januar 2003 im Briefkasten findet. Die Postkarte enthält lediglich vier Vornamen: Ephraïm, Emma, Noémie und Jacques. Es sind die Namen der mütterlichen Großeltern, ihrer Tante und ihres Onkels. Alle vier wurden 1942 in Auschwitz ermordet.

    Heute habe ich, fort nach dem Lesen der letzten Seite, eine Mail an den Piper Verlag geschrieben. Unter Nennung des Titels ‚Die Postkarte‘ verspricht der Münchener Verlag, eine Empfehlung vergleichbarer Bücher zu schicken. Ich bin gespannt.

  • Das Philosophenschiff von Michael Köhlmeier

    Beim Lesen dieses Romans versuche ich mich daran zu erinnern, was ich über Lenin und die bolschewistische Sowjetunion noch weiß. Denn: In ‚Das Philosophenschiff‘ verschmelzen historische Ereignisse und die Fantasie des Autors. Die Passagierschiffe, auf denen Intellektuelle in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus Russland deportiert wurden, gab es wirklich. Anouk Perlemann-Jakob ist dagegen Fiktion. Sie ist eine der Passagierinnen, die als jungen Mädchen zusammen mit ihren Eltern auf Lenins Befehl ins Exil deportiert wird. Während die meisten anderen Passagiere nach ereignislosen Tagen auf See in Lethargie verfallen, erkundet sie nachts Decks, deren Zutritt verboten ist. Dort trifft sie auf Lenin selbst. Dieser sitzt – nach seinem Schlaganfall – hilflos im Rollstuhl. Nacht für Nacht treffen sich die beiden beiden.

    Als 100jährige Frau erzählt Anouk Perlemann-Jakob, die es als Architektin zu Ruhm und Bekanntheit gebracht hat, einem österreichischen Schriftsteller ihre Geschichte. Als sie mit ihren Erzählungen zu Ende ist, gibt sie ihm vor seiner Rückfahrt nach Vorarlberg diese Ermahnung mit auf den Weg: „Aber vergessen Sie nicht, wer Sie sind: Sie sind der, dem man glaubt, wenn er lügt, und nicht glaubt, wenn er die Wahrheit sagt.“

  • Eine Kiste explodierender Mangos von Mohammed Hanif

    Wie kam es zu diesem Flugzeugabsturz im August 1988 bei Bahawalpur, in der pakistanischen Wüste? Dieser Frage widmet sich Mohammed Hanif in seinem ersten Roman ‚Eine Kiste explodierender Mango‘ auf höchst unterhaltsame und satirische Weise. Hanf, geboren 1965, war Pilot in der pakistanischen Luftwaffe, bevor er Journalist wurde und Theaterstücke und Drehbücher schrieb. Flugzeugabstürze sind immer tragisch. Bei dem oben beschriebenen ist die Ursache ungeklärt. An Bord der ‚Pak one‘ sitzen hochrangige Militärs – pakistanische und amerikanische – sowie Zia ul-Haq, der damalige pakistanische Militärdiktator. Nur einer überlebt die Explosion und den darauffolgenden Absturz. Gleich im Prolog kommt er zu Wort: „Als die Gruppe sich dem roten Teppich nähert, der zur Gangway der Pak One führt, trete ich nach vorn. Man sieht gleich, dass ich der einzige bin, der lächelt, doch als ich salutiere und auf die Maschine zugehe, verschwindet mein Lächeln. Heute weiß ich, dass ich vor einem Haufen toter Männer salutierte. Aber in Uniform salutiert man. So ist das. Später werden Absturzexperten von Lockheed die Trümmer der Maschine zusammensetzen, um das Rätsel zu entschlüsseln, wie eine völlig intakte C-130 kaum vier Minuten nach ihrem Start vom Himmel fallen kann. Astrologen werden ihre Vorhersagen für den August 1988 hervorkramen und Jupiter die Schuld an dem Absturz geben, der die gesamte Lametta-Riege der pakistanischen Armee plus den amerikanischen Botschafter auslöschte. Linke intellektuelle werden auf das Ende einer grausamen Diktatur anstoßen und die historische Dialektik solcher Ereignisse verkünden.“

    Und welche Rolle spielen Mangos in diesem Roman? Nicht nur eine! Meine Empfehlung: Lesen!

  • Donnerstags im Fetten Hecht & Freitags in der Faulen Kobra von Stefan Nink

    Der Protagonist, der Autor nennt ihn schlicht Siebeneisen, lebt in Nordrhein-Westfalen, genauer in Oer-Erkenschwick. Aber dort bleibt er nicht. Als er donnerstags im Fetten Hecht erfährt, dass sein Freund Schatten 50 Millionen Euro geerbt hat, verlässt er diesen Ort mit dem westfälischen Dehnungs-e und macht sich auf Bitten von Schatten auf die Suche, sieben Miterben zu finden, ohne die die Erbschaft nicht wirksam wird. Natürlich leben die Sieben in den entlegensten Regionen der Welt… In seinen Roman wird deutlich, dass Stefan Link ist ein routinierter Reisebuch-Autor ist. Er erzählt humorvoll, spannend, sehr unterhaltsam.

    ‚Freitags in der faulen Kobra‘ ist sein zweiter Roman. Als Lokalredakteur Silbereisen an einem Yogakurs in einem indischen Palasthotel teilnimmt, bittet ihn ein Maharadscha um Hilfe und Silbereisen reist wieder los. „Im Fahrwasser des großen Entdeckers führt die Suche von Tonga nach Neuseeland, Kapstadt, Hawaii und Kanada. Und während sich Silbereisen mit Straußen, Eisbären und einem kleptomanischen Buschbaby herumschlagen muss und seine Freunde Wipperfürth und Schatten ihn aus dem Teehaus Zur faulen Kobra mehr oder weniger sinnvoll unterstützen, wird im Palast des Maharadschas ein ganz anderer Plan verfolgt.“( 1. Auflage, Limes Verlag, 2024)

  • Warten auf Schnee in Havanna von Carlos Eire

    Von 1960 bis 1962 wurden über 14.000 kubanische Kinder mit der sogenannten „Operation Pedro Pan“ alleine in die USA ausgeflogen. Carlos Eire, 1950 in Havanna geboren, ist einer von ihnen. In ‚Warten auf Schnee in Havanna‘ beschreibt er seine Kindheit im vorrevolutionären Kuba und zu Beginn der Ära Fidel Castros. Ein 519 Seiten starker, bewegender Roman, der sowohl die Erlebnisse in Havanna als auch das Leben im kapitalistischen Florida der 60er Jahre aus der Sicht des jungen Carlos beschreibt.

    Leider ist der Roman im deutschen Buchhandel nicht mehr erhältlich; wohl aber im Buch-Antiquariat.

  • Die erste Frau von Jennifer Nansubuga Makumbi

    ‚Die Hexe‘, so hat Jennifer Nansubuga Makumbi das erste Kapitel ihres 527 Seiten starken Romans betitelt. Kirabo Nnamiiro, die Heldin, sucht die fast blinde Frau auf, da sie die einzige zu sein scheint, die ihr helfen will, ihre Mutter zu finden. Das ist der Anfang dieser grandios erzählten Lebens- und Familiengeschichte, die in der 1970er Jahren in Uganda spielt – während des gewaltsames Regimes von Idi Amin. Ihren Roman ‚Die erste Frau‘ hat die Autorin ihren Großmüttern gewidmet.

  • Die Tage in der Buchhandlung Morisaki von Satoshi Yagisawa

    In Tokio gibt es ein Viertel voller Bücher. Dorthin, nach Jinbocho, zieht es Takako, eine junge Frau, nachdem sie ihren Job gekündigt und – vorher – von ihrer ersten Liebe enttäuscht wurde. Sie sucht ihren Onkel auf, der im ‚Bücherviertel‘ ein Antiquariat führt und wohnt fortan in einem kleinen Raum voller Bücher in der Etage über dem Verkaufsraum. Satoshi Yagisawa erzählt lapidar und schnörkellos vom neuen Leben der Protagonistin, von ihren Cafébesuchen, ihren Buchentdeckungen und von einem Wanderausflug und kurzem Aufenthalt in einem Berggasthof mit ihrer Tante Momoko, die sich dort überraschenderweise mehr als nur gut auskennt.

  • Eine Frage der Zeit von Alex Capus

    Wo liegt der Tanganikasee? Eine Suche auf Google Maps beantwortet diese Frage in Sekunden: Der Tanganikasee (Tangajikasee) ist ein schmaler, langerstreckter See in Zentralafrika. Der längste Süßwassersee der Welt verbindet Sambia, die Demokratische Republik Kongo, Burundi und Tansania. ‚Eine Frage der Zeit‘ handelt von drei Werftarbeitern aus Papenburg im Emsland. 1913, im Geburtsjahr meiner Oma, bauen sie auf der Meyer Werft ein Dampfschiff, das sie gleich nach dem Stapellauf auf der Ems wieder in seine Einzelteile zerlegen, im Auftrag von Kaiser Wilhelm II. zum Tanganikasee transportieren und es dort wieder zusammensetzen. Doch mittlerweile ist der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Damit wird der See, dessen Ufer nun drei Kolonialmächte Gebiete ihr Eigen nennen, zu einem Kriegsschauplatz in den Tropen. Mittendrin die drei Papenburger, die von den weltpolitischen Ereignissen überrollt werden.

    Ein spannender und historischer Roman.

  • Kongo von David Van Reybrouck

    Der flämische Schriftsteller, Journalist, Archäologe und Historiker David Van Reybrouck – im August 2025 mit der Goethe-Medaillie ausgezeichnet – begleitet die Leserin/den Leser von 1870 bis ins Jahr 2010 durch die Geschichte des zentralafrikanischen Landes. Das Werk handelt vom Entdeckungsreisenden Stanley, von Belgien und König Leopold II., von über 30 Jahren Mobutu-Diktatur, vom legendären Boxkampf zwischen George Foresman und Muhammad Ali ‚rubble in the jungle‘ in Kinshasa und davon, dass „ein Stückchen Kongo in jedem Handy steckt“, den begehrten Rohstoffen des Kongos und der Rolle Chinas in der ehemaligen ‚Republik Zaire‘.

    Ein unglaublich gutes Buch, spannend, interessant und fundiert recherchiert.

  • Herr Klee und Herr Feld von Michel Bergmann

    Sechs Bücher von einem Autor in fünf Monaten lesen? Das ist – soweit ich mich erinnern kann – eine Premiere in meinem Leseleben. Aber Michel Bergmanns erfrischender Schreibstil, seine Erzählkunst, Themenauswahl und sein Humor haben mir so gut gefallen, dass ich nach der Lektüre von ‚Herr Klee und Herr Feld‘ sogleich auch ‚Die Teilacher‘, ‚Machloikes‘ (Band ein und zwei der Trilogie um jüdisches Leben in Frankfurt am Main), ‚Alles was war‘, ‚Weinhebers Koffer‘ und ‚Mameleben‘, ein Buch über Michel Bergmanns Mutter, die 1945 in einem Internierungslager in der Schweiz zur Welt gebracht hat, gelesen habe.

    Am besten gefallen hat mir der hier im Titel genannte Roman, Band drei der Trilogie. Er handelt von zwei leicht schrulligen älteren Brüdern: Der eine, Moritz, ein emeritierter Professor und praktizierender Jude, der andere ein ehemaliger Schauspieler in mittelmäßigen Dracula-Filmen.

    Und so beginnt er:
    „Meine Herren! Ich werde Sie verlassen! Moritz starrte sie an. Sein Löffel sank in die Suppe. Aber Frau Stöcklein. Warum denn, um Himmels willen? Alfred schaute nur kurz hoch und aß dann. weiter. Die Haushälterin blickte verlegen auf ihre Hände. Ich bin heute fünfundsechzig und …

    Alles Gute. Alles, alles Gute. Sie dürfen sich etwas wünschen. Ein Kochbuch, murmelte Alfred kauend. Moritz schaute zu seinem Bruder. Hast du etwas gesagt? Alfred sah Frau Stöcklein an. Kann ich den Pfeffer haben? Solange Sie noch unter uns weilen?“


    Leider ist Michel Bergmann im Juni 25, während ich ‚Herr Klee und Herr Feld‘ las, verstorben.

  • The Last King of Scotland von Giles Foden

    Ein junger Arzt aus Schottland wird Leibarzt eines brutalen Diktators. ‚I did almost nothing on my first day as Idi Amin’s doctor. I had just come from one of the western provences, where I’d worked in a bush surgery. Kampala, the city, seemed like paradise after all that.‘ Aber so gechillt, wie er es in diesen ersten Sätzen des Buches beschreibt, bleibt es natürlich nicht für den jungen Arzt. Ein unglaublich spannender Roman – oder sogar Thriller.